Warum gibt es Lebkuchen eigentlich immer zu Weihnachten? Mal abgesehen davon, dass einige Discounter meinen, sie müssten das Gebäck bereits im Spätsommer in die Regale räumen, damit sich ein jeder bis zur Weihnachtszeit satt essen kann. Ganz ohne Weihnachtsverpackung sind Lebkuchen nämlich alles andere als Saisonware. Aachen ist zu jeder Jahreszeit bekannt für seine (essbaren) Printen. In der Lausitz oder in Braunschweig sind es die Honigkuchen. Und diese wiederum gelten als Ursprung des Lebkuchens. Denn weder die Aachener, noch die für ihre Lebkuchen berühmten Nürnberger sind die Erfinder. Auch nicht die Pulsnitzer. Die Spur der Honigkuchen reicht Jahrtausende zurück in den Orient und findet sich später auch in der römischen Kaiserzeit. In der Antike wurde dem Honigkuchen mit Nüssen, Mandeln, Honig und kostbaren Gewürzen wie Pfeffer und Zimt eine heilende Wirkung nachgesagt – und sogar den Göttern geopfert.
Warum Lebkuchen aber ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit verspeist werden, darüber spekulieren selbst Experten. Wahrscheinlich, weil die besonderen Gewürze und ihre schweren, aufdringlichen Düfte gut zu Weihnachten passen. Gewürze, die kostbar und eben nicht alltäglich sind. Genau wie die Weihnachtszeit eine ganz besondere ist, an der es einfach etwas Kostbares zu essen geben muss. Unsere Gaumen haben sich längst darauf eingestellt, dass mit der heimeligen Zeit, mit Lichterglanz und Glühweinduft eben auch der ganz spezielle Lebkuchen-Geschmack verbunden ist.
Aber Lebkuchen haben es in sich: Sie schmecken nicht nur, sie eignen sich auch als Baumaterial – für Häuser beispielsweise. Besonders das Modell Hexenhaus taucht in der Lebkuchen-Hochsaison in vielen Backstuben auf. Und auch das ist eine ganz alte Geschichte: Schon vor Jahrhunderten war es üblich, Lebkuchen-Häuschen in der Zeit vor Weihnachten Armen, Kindern oder auch Würdenträgern zu schenken. Und doch wird gerade den Brüdern Grimm entsprechende Erfindung zugesagt: Sie hatten schließlich das Märchen von Hänsel und Gretel geschrieben. Und in diesem lebt die Hexe in einem zum Anbeißen verführerischen Häuschen. Mit der Folge, dass Hänsel und Gretel Mundraub daran begehen.
Aber so einfach ist auch das nicht. Offenbar haben die Grimms die Idee vom Lebkuchenhäuschen selbst nur geklaut. Das kommt nämlich schon in spätmittelalterlichen Darstellungen des Schlaraffenlandes vor. So malte bereits 1567 Pieter Bruegels der Ältere „Das Schlaraffenland“ und auch andere Bilder, auf denen solche Häuser zu sehen sind. Zuvor schrieb 1530 Hans Sachs, der Nürnberger Schuhmacher, Spruchdichter, Meistersinger und Dramatiker, im „Schlaraffenland“ wörtlich: „Ein Gegend heißt Schlaraffenland, den faulen Leuten wohlbekannt. Das liegt drei Meilen hinter Weihnachten. … Da sind die Häuser deckt mit Fladen, Lebkuchen die Haustür und Laden…“ Kommen Lebkuchen und Lebkuchenhäuschen etwa aus einem Schlaraffenland hinter dem Weihnachtsland? Hatten die beides vielleicht in der Antike? Fragen über Fragen: Aber, knusper, knusper, knäuschen, wir sind ja in der vorweihnachtlichen Zeit der Heimlichkeit.
36 Millionen Kalorien
Ganz verrückte Lebkuchenhäuser gibt es übrigens auch. Als Weltrekorde! So gilt derzeit das Gingerbread-House aus Texas als größtes Lebkuchenhauses der Welt. Das wurde 2013 gebaut. Darin stecken allein fast eine Tonne Butter, über 7000 Eier und 36 Millionen Kalorien. Mit über 1000 Kubikmetern bietet es Platz, um eine fünfköpfige Familie unter zu bringen. Immerhin: Die Erlöse der Besuchereinnahmen kommen einem Krankenhaus zugute.
Und das wahrscheinlich kleinste Lebkuchenhaus der Welt? Das ist nicht ess- und nur mittels Elektronenmikroskop sichtbar. Ein kanadischer Forscher verwirklichte die Idee dafür 2019. Das winzige Häuschen aus Silizium ist kaum größer als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Fotos, die das Zentrum für Elektronenmikroskopie der Universität im kanadischen Hamilton veröffentlichte, zeigen das Lebkuchenhaus auf dem Kopf eines winzigen künstlichen Schneemanns. Es hat kleine Ziegel, weihnachtliche Verzierungen und eine Kanada-Flagge als Fußmatte. Bei der Herstellung habe er einen Strahl geladener Galliumionen verwendet, der wie ein Sandstrahlgerät wirke, sagte Travis Casagrande. Er habe „die Leistungsfähigkeit des Zentrums demonstrieren” und „die wissenschaftliche Neugier der Öffentlichkeit wecken” wollen. Das hat er wohl geschafft.
Was also wollen die Lebkuchen-Liebhaber dieser Welt mehr! Dem zum Anbeißen verführerischen Häuschen ist sogar ein ewiges wissenschaftliches Denkmal gesetzt. Vielleicht fliegt das eines Tages noch mit zum Mond? Man müsste es mal den Chinesen sagen, die da wohl vielentsprechende Pläne haben. Sie könnten dann gleich noch die Geschichte vom “Honigkuchenpferd” mit an Bord des Shuttles nehmen. Das gibt es nämlich nicht nur sprichwörtlich. Es ist nichts anderes als ein Stück Lebkuchen in Pferdeform.
Es heißt ja, man grinse wie ein Honigkuchenpferd, wenn man komisch guckt. Die früheren Redewendungen aus dem 19. Jahrhundert, „ein Gesicht“ oder „ein Gemüt haben wie ein Honigkuchenpferd“ sind gar nicht lustig und bezeichnen eher energielose oder einfältige Menschen. Das blenden wir gleich aus. Wir freuen uns „wie ein Honigkuchenpferd“ lieber optimistisch darauf, dass Weihnachten im nächsten Jahr wieder strahlender wird als dieses! Und das liegt dann gewiss nicht nur an den Lebkuchen.
Cornelia Bauer