Heute, Kinder, wird’s was geben, heute werden wir uns freun…“ Okay, der Text geht eigentlich ein bisschen anders, aber heute ist ja „heisa“ schon Weihnachtstag. Die Vorfreude auf das Fest haben wir nämlich schon geschafft. Stellt sich die Frage, was denn nun mit dem Weihnachtsmann ist: Kommt er, kommt er nicht, darf er überhaupt kommen? Einem anderen Lied-Text, das den rot bemäntelten Alten mit „Gaben“ ankündigt, muss man ja in diesen Zeiten misstrauen. Im Guten wie im Schlechten: Keine Geschenke heißt ja auch keine Rute, kein alter Kartoffelsack und keine Nötigung zum Aufsagen illustrer Gedichte oder Anstimmen peinlicher Liedchen. Ehe man beschert wird.
Deswegen muss dieser Heilige Abend nicht schlechter sein als all die anderen zuvor. Der alte Herr wird gerne überschätzt. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, denn ich war schon mal Weihnachtsmann. Das behauptet zwar mancher Kollege auch zu anderen Jahreszeiten gelegentlich. Weihnachtsmann aber ist keine mentale Einstellung, sondern eine Frage der Verkleidung. Und außerdem kein beneidenswerter Job.
Meine Karriere begann mit einem Anruf. Nein, niemand suchte einen dickbäuchigen Herren um kleine Kinder zu erschrecken. Mein Lieblings-Kollege meldete sich. Der ist begabt im Umgang mit Kamera und Objektiven, auch wenn er in den Tiefen seines Kfz gelegentlich volle Akkus und leere Speicherkarten sucht. Und er hat – ganz wichtig – eine talentierte Maskenbildnerin an der Hand. Seine Herz-Dame sozusagen. Er benötige meine Statur, behauptete er am Telefon. Ich sagte spontan „Ja“ zu meinem Gelegenheits-Job als bärtiges Fotomodell ohne Vorkenntnisse und fuhr durch den finsteren Wald nach Ilmenau.
Der Weg durch den finsteren Wald verführte mich dazu, schon mal im Geist das nötige Vokabular durchzugehen: „Hohoho“ klappte problemlos. Dann die hinterlistig insistierende anmaßend dutzende Frage „Warst du denn auch schön artig?“, auf die der Weihnachtsmann auf alle Fälle ein „Jaaaa“ erwartet. Weil ihm ein „Nein“ Schwierigkeiten bereitet. Er kann der rotzfrechen Göre ja schlecht den Knüppel über den Hintern ziehen, oder die Geschenke wieder mitnehmen. Was soll er mit dem ganzen China-Kram? Außerdem haben die Eltern ihr ganzes Geld dafür ausgegeben.
Also hofft der Weihnachtsmann, das kein „Neee“ kommt oder ein „Och, Mann…“ – und macht Forderungen auf: „Kannst Du denn auch ein Gedicht?“. Ganz gefährliche Frage! Bei diesen Jugendlichen endet die Kunst des Auswendiglernens außerhalb des TicToc-Universums nämlich mit der ersten Zeile. „Lieber guter Weihnachtsmann, hm, hm, Hm.“ Eine Selbstverpflichtung in der Art „Ich will auch immer artig sein“ ist den meisten zu doof und sowieso glatt gelogen. Und also muss sich der Weihnachtsmann – das wird erwartet – von Lügen blenden lassen und hat auch noch beeindruckt zu sein, wenn das zu beschenkende Kind zwei Sätze geradeaus sagen kann. Was für ein blöder Job!
Ich saß also in Ilmenau auf einem Stuhl im Hause meines Lieblings-Kollegen. Die Herz-Dame spachtelte Schminke in mein Gesicht, färbte Augenbrauen, benutze Mascara und I-Liner, klebte fusseliges Barthaar an, puderte, cremte – und am Ende war ich tatsächlich schrecklich gealtert. Wow. „Hohoho“, sagte ich. Mein Lieblings-Kollege feixte. „Ab in den Wald!“ Also wurde die schmale Straße zum Kickelhahn hinaufgefahren, besser gedonnert. Ich hoffte insgeheim bei seinem Fahrstil, die Polizei möge uns in die Quere kommen. Die hätten nicht schlecht gestaunt: Den Weihnachtsmann im Wald erwischt – nicht angeschnallt und zu schnell unterwegs. Ich hätte sie glatt erst mal gefragt, ob sie denn ein Gedicht aufsagen können, ehe sie ein Bußgeld von mir bekommen. Aber die Polizei war aber nicht zu sehen. Nur Frau Holle hockte in den Wolken. Und schüttelte.
Wir stapften durch den Schnee bis dem Herrn Fotografen der Winterwald, der Himmel und der Weihnachtsmann eine ausgewogene Symbiose einzugehen schienen. Ich weiß nicht mehr, was damals in dem Sack war, vermutlich alte Schuhe, oder ein Abschleppseil, aber ich schleppte ihn durch den Wald und stellte mich hier und da in Position. „Guck doch mal!“. Ja, wie guckt ein Weihnachtsmann? Ich musste an die Leser denken, die ich von der Titelseite dieser Zeitung überraschen sollte an jenem 24. Dezember. Also schaute ich leidend. Die Bürde des Amtes, die schweren Geschenke, die vielen Termine… So was. Mein Lieblings-Kollege fand es passend.
Und wie war’s so als Weihnachtsmann? Fragen Sie mich lieber nicht! Cool war‘s. Also, kalt, meine ich. Der Bart hat gejuckt. Ansonsten erschien mir das Vokabular des Herren unter meinen Ansprüchen. Ich persönlich kann verzichten. Corona hat auch sein Gutes!
Fröhliche Weihnachten!
Peter Lauterbach